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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 31
 

Anmerkungen

Peter Altenberg

Von Christoph von Schmid ist das Lehrgedicht »Das Glasgemälde«. Der bekanntejugendschriftsteller läßt darin eingangs einen Wanderer ein Glasgemälde beschauen, das stumpf, in eintönig dunklen Farben, ein unentwirrbares, regelloses Durcheinander von Linien und Strichen zeigt und nicht erkennen läßt, welche Idee das Ganze beherrscht, was der rätselvolle Knäuel von Farbenflecken und sich kreuzenden und gleichlaufenden Fäden vorstellen soll. Als aber dann plötzlich eine breite, glänzende Lichtwelle sieghaft das Glas durchflutet, ersteht mit einem Male in wundervoller Klarheit und Reinheit das Bild, die durcheinanderschießenden Linien lösen sich in vollendeter Harmonie und Bogenschöne, das allgemeine schwärzlich braun des Tones wandelt sich zu einer leuchtend strömenden, überquellenden Farbensymphonie, in seiner erhabenen Einfachheit tritt die Idee, die der Schöpfer des Gemäldes verkörpern wollte, zu Tage. Und bewundernd, ergriffen läßt der Beschauer die lautere Schönheit des Werkes auf sich wirken und indem er willig seine ganze Seele dem überwältigenden Reichtum echtester Kunst weit öffnet, sieht und erkennt er die tieferen Absichten, die bei der Entstehung des Bildes bestimmend waren, und steht erschauernd still vor dem Geheimnis des gestaltenden, formenden Menschengeistes, der in der schöpferischen Kraft der Künstlerseele kristallisiert erscheint.
Wer zum erstenmal ein Buch von Peter Altenberg in die Hand nimmt, dem wird es ähnlich ergehen. Vor diesen kurzen Skizzen und impressionistischen Plaudereien mit dem fahrig und nervös wirkenden Stil und den scheinbar den logischen Zusammenhang vermissenlassenden, equilibristisch überpurzelnden Gedankensprüngen steht man zuerst kopfschüttelnd wie vor einem tollen, wüsten Hexensabbat grell aufblitzender Gedanken und genau malender Wort- und Satzprägungen, die auf den ersten Blick jeden Sinn vermissen lassen. Nur langsam liest man sich in die Manier Altenbergs hinein und erkennt allmählich, welch originelle Persönlichkeit, welch überraschend tief schürfender und sehender Geist sich in diesen zuckenden, abgerissenen Satzgefügen offenbart. Das Wesen des Wiener Poeten ist schwer in eine bestimmte, abgrenzende Formel zu pressen. Am besten ist es wohl, man nennt ihn einen Dichterphilosophen, der in prägnanten, erschöpfenden Worten, in einer Art Kurzschrift, seine Anschauungen niederlegt, der etwas zu sagen weiß und auch etwas zu sagen hat. In seinem jetzt neuerschienenen Werke »Bilderbögen des kleinen Lebens« (Verlag Erich Reiß, Berlin) ist Altenbergs Kunst so recht ausgeprägt und ausgereift. Die ihm eigene Form der kurzen, oft kaum seitenlangen Skizze, die er in seinen sämtlichen Werken beinahe ausschließlich verwendet, behält er auch hier bei. Mit Kraft und Behendigkeit bewegt sich der nun Fünfzigjährige in seinem Elemente, manche böse Wahrheit lacht er den Spießern ins Gesicht und hält seine Fackel in manches finstere, dunkle Eulennest im Reiche der Gedanken.
Altenberg ist noch viel zu wenig bekannt und noch viel weniger seinem wahren Wert ents~rechend gewürdigt. Er ist ein tiefer und reicher Mensch, ein echter Dichter und wer den, allerdings mühseligen und steinigen Weg zu ihm findet, dem wird er ein innerliches Erlebnis bedeuten.

[1911]