zurück zum Inhaltsverzeichnnis
zur nächsten Prosa


Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 220
Kommentar Seite 640
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«

  • München
  • Regensburg
  • Passau


  • München

    Wir sind im November jetzt, schon sind die Bäume weiß vom Reif und die Enten bei den Isarbrücken stecken den Schnabel ins Wasser und wackeln mit den weißen Steißen. Diese Enten, oft streichen sie davon, der Körper hängt schwer wie ein Sack, aber sie rudern mit den kurzen, strammen Flügeln mächtig voran. Diese Enten und die Möven, sie rühren sich, immer ist was los, Bewegung und Schrei. München träumt, schläft, döst. Aber der englische Garten war im Sommer wundervoll. Das schöne Grün. In der neuen Sezession haben Seewald, Eberz Sinn für die Reize des Vegetativen. Aber wie beschränkt ist ihr Format! Beckmann ist geräuschvoll wie ein Weinreisender. Im englischen Garten sitzend könnte man nur Klee anschauen, vielleicht noch Eberz, aber im Isartal, unter blauem Himmel, viel gelber Kies, im Isartal ist nur mehr Klee erträglich. Es sind auch sonst noch Maler in der neuen Sezession, aber das sind keine Maler. Doch, doch, doch, sie sinds, denn auch die feldgrauen Künstler stellen aus. Ich gehe nie wieder zu ihnen, nie wieder! Das ist eins vom Wenigen, das ich sicher weiß. Emmi Hennings hat im Steinickesaal vorgelesen. Ich ginge, wahrscheinlich, auch nicht wieder hin. Ich lese das lieber selber. Sie hat einen blonden Pagenkopf, eine süße, kleine Stimme und ihre Verse sind mir lieber als ihre Prosa. Es waren wenig Leute da, unter ihnen Exzellenz Maximow, und Engert, der letzte Schwabinger. Ich suchte den Saal, hatte mich verlaufen, war eine Stiege zu hoch gestiegen, da sah ich durch ein Fenster nackte Arme, jemand kreischte, es war der Ankleideraum der «Schaubühne», die Felber im Steinickesaal auftut. Früher leitete er die «Neue Bühne» und ich sah dort eine Vorstellung von Kaisers Plakatdrama «Von morgens bis mitternachts». Grellbunte Bühnenbilder Schaeflers, Granach als Kassierer, galizisch, viel Mache, aber darunter echtes Theatertemperament. Die Vorstellung, im Ganzen, doch erregend, prickelnd! Prickelnd das kann man nie sagen von einer Vorstellung der Staatstheater. Das vierte Gebot ist gräßlich und der Spielplan auch sonst zäh ledern. Aber sie haben einen Schauspieler, Faber heißt er. Als Prinz in «Das Leben ein Traum» eine der wenigen ganz starken Erschütterungen, die von den Brettern herab je auf mich eindrangen. Was ist gegen ihn der maßlos gepriesene Berliner Gast Werner Krauß: ein neuer Possart. Wenn in Berlin die Hungernden einen Brotwagen stürmen, so reden die Münchner Neuesten Nachrichten von Pöbel. Aber drucken die Speisenkarte eleganter Weinlokale im Inseratenteil ab. Und lassen Fritz von Ostini über Kunst schreiben. Und haben Hausenstein gehen lassen. Und Paul Ehlers schreibt Opernbesprechungen. Haben Sie die gelesen? Die müssen Sie gelesen haben! Bei Caspari stellte Pechstein aus. Sehr farbig, robust, die Holzschnitte sind das Beste. Von dort weg ging ich zu Unold. Aber ich überlegte mir: zwei Mark. Das ist zu teuer. Lieber sah ich im Schaufenster bei Goltz schöne Bücher umsonst. Einmal, früher schon, war ich auch in seinem ersten Stock, aber ich finde Mense unwahr, Davringhausen aufgeblasen, das Schönste war Klee und Kubin. Von den Tänzerinnen hab ich wahrscheinlich die schlechteste gesehn! Erika Skögen. Nächstens geh ich zur Wigmann. In der Volksküche kostet ein Teller Kartoffelsuppe vierzig Pfennig. Draußen geht ein prangender Zug. Man begräbt den ehemaligen König. Autos sausen nach Grünwald. Dort ißt man gut beim Weinbauern. Im Schauspielhaus wird Freksa aufgeführt. Der Mann soll ein ausgezeichneter Koch sein. Schlecht ist sein Stück. Wenn Blüher hier spricht, ist der Saal leer. Weil Blüher einer der stärksten Denker ist, die wir heute haben. Dafür ist Marcell Salzer ausverkauft. Die Couleurstudenten haben jetzt ausgefranste Hosen und einen verblichenen Prunk. Der Gott, der Eisen wachsen ließ. Sie lassen nicht von ihm. In der neuen Staatsgalerie hängen schöne Bilder. Wenn man an Stuck vorbei muß, kann man ja die Augen zumachen. Schwieriger ists in der Schack-Galerie. Da bringt man die Augen nicht mehr auf. Aber in der alten Pinakothek gibt es die herrlichen alten deutschen Meister und ein handgroßes Bildchen von Altdorfer, das ich gern stehlen würde. Was habe ich nur gegen München? Der Terlaner in der Torggelstube ist trinkbar, von der Geberleschule aus sieht man an klaren Tagen die Berge blau, altdorferblau, und immer noch fliegen Enten und Möwen.
     
     



     


    Passau und der alte und der junge Lautensack

    Ich sage es frei heraus, daß ich Passau für die schönste deutsche Stadt halte. Es gibt Stiche von einem alten und treuherzigen und klaräugigen Künstler, von dem großen Kleinmeister Lautensack, der vor dreihundert, vor vierhundert Jahren lebte. Auf seinen vergilbten und bräunlichen Blättern sind die Konturen von Städtebildern klar in den Himmel gezogen. Ein Netz von Linien, ein Geflecht und Gespinst von Kurven, ein Kreuz und Quer von Dächerkanten, von turmgeraden, von schrägen und schiefen Mauerleisten schwankt elastisch und tänzerisch über dem Flußtal. So ist auch Passau anzusehen, die Stadt, von der ich nicht weiß, ob der alte Stecher Lautensack sie jemals vor seine Augen bekam: Ein hüpfender Ball über Ebenen und Wäldern.
     Drei Flüsse fließen ihr zu Füßen zusammen: Die Donau, der Inn und die Ilz. Spiegelndes Wasser glänzt auf unvermutet hinter jedem Häuserblock, und es sind so viele Brücken, daß man über sieben an jedem Tag gehen kann, und man kennt sie noch längst nicht alle, und auf jeder schaut der böhmische Beichtvater Nepomuk hinunter zu silbernen Fischen.
     Die Straßen steigen hurtig auf und nieder, verwandeln sich in Treppen mit moosbewachsenen, feuchten Stufen und stürzen jäh und glitschrig ab - und immer steht man dann an einem Fluß. Grün und geringelt, wie Wasserschlangen, die ihr Element suchen, patschen diese Treppenstraßen ins Strömende. Drei Tage ist man dort, dann unterscheidet man an der Farbe des Wassers, ob es die Donau ist, der Inn oder die Ilz. Die Donau rollt breit und schwer, der Inn rasch und schäumend. Und breit und schwer und rasch und schäumend fließen sie vorbei an den Kirchen. Es sind viele Kirchen, barocke Kirchen, mit runden und stumpfen und spitzen Türmen, mit katholischen Glocken und sie läuten am Morgen, am Mittag, am Abend. Passau ist die glockengeschwätzigste Stadt.
     Drüben beginnt Österreich. Adalbert Stifters Land.
     Die Festung Oberhaus steht über der Stadt und war einmal Militärzuchthaus. Wer den Offizier mit der blanken Waffe anging, den jungen Leutnant oder den breitschultrigen Hauptmann, der mußte hier Karren schieben, Soldat zweiter Klasse, schielend hinunter auf die goldenen Dächer.
     In einer kleinen Schänke, die Mönchen gehört, gibt es einen würzigen Wein. Der wächst über der Grenze auf einem Weinacker, den die Braunkuttenträger betreuen. Ein grauer Scheitel bedient. Man schenkt in der Schenke nur diesen einen Wein und nichts sonst und sonst garnichts. Du trittst an den Tisch, an den butterweiß gefegten Tisch, und schon steht das funkelnde Glas vor dir. Brot mußt du selbst mitbringen. In der Schenke gibt dir die Greisin nur den gelben mönchischen Wein.
     Mit gemauerten Seitenwänden stößt eine Insel hinaus in das viele Wasser. Mit wippender Gerte steht an der vordersten Spitze ein Angler. Der Himmel wölbt sich herab. Das viele Wasser ist wie ein See, und Himmel und See verrinnen in eins und der Angler angelt nach Fischen und Sternen.
     Ich sage es frei heraus, daß ich Passau für die schönste deutsche Stadt halte. Ob der alte Stecher Lautensack sie je vor seine leiblichen Augen bekam, ich weiß es nicht. Sein Nachfahre Heinrich Lautensack, der Dichter der » Pfarrhauskomödie«, lebte in dieser Stadt. Er lebte in dieser Stadt auch während er in Berlin Filmdramaturgie trieb und auf dem Brettl grimassierte. Er hat sie nie verlassen. Seine Gedichte sind stark und würzig und funkelnd und ein wenig mönchisch wie der Schoppenwein in der kleinen Schenke.
     Von grünem, kurzem, hellgrünem Stoppelgras beflaumt steigt eine Anhöhe sanft hinauf. Da liegt Heinrich Lautensacks Haupt. Schmerzlich grinst sein leicht geöffneter Mund, eine bräunliche Kiesgrube. Bäume, buschig, blätterwuschlig, stehen im Halbbogen wie Augenbrauen. Abgetrennt liegt sein Kopf vom Rumpf, wächst zusammen mit der Landschaft, und wie eine freche, stechende, stachlige Nase mit nach oben stehenden Nasenlöchern erhebt sich ein Grasbuckel in der Mitte des Hangs. So sieht um die Abendröte weinrot des Dichters Kopf über die bayrische Stadt.
     Ein hoher Baum, eine kahle Föhre, sonnt sich am Erdbeerhügel. Eidechsen rascheln unten, die nackte Föhre wiegt sich im Juliblau. Es ist nur ein schwarzer Abdruck von der braunen Kupferplatte, aber das Juliblau, das über der Föhre auf dem Stadthügel bläut, das tiefe, tönende, wankende Blau ist unverkennlich. Hinter dem Hügel beginnen die Wälder, die böhmischen Wälder, die schattenden, dunklen böhmischen Wälder. Nur die froschnackte Föhre ist auf die braune Platte gesprungen, voreilig, zu früh, und brät nun allein in der hitzigen Einsamkeit ihres Vorpostens. Denn nach Passau darf sie doch nicht hinein. Dieser Stadt, schwankend und tänzerisch über dem Dreiflüssetal, wie sie der Donaumeister Lautensack stach. Und aus den Versen des anderen Lautensack, des jungen Lautensack, strömt die Essenz dieser Landschaft zu mir her und den funkelnden Schoppen halt ich hinauf, empor zu Oberhaus, hinüber ins Adalbertstifterland, schwenk ihn und schütt ihn hinab zu Donau und Inn und Ilz.

    [1923]
    zum Kommentar
     



     
     


    Regensburg

    Die Donau ist blau, blaugrün, blaugrün wie der Streifen Westhimmel am Abend nach Sonnenuntergang, manchmal grün wie helles Moos, im Spätherbst gelb, und gelb im Vorfrühling, wenn die Schneewasser kommen. Aber jetzt, im Juni, im Juli, flattert sie wie ein glänzendes, windbewegtes Band über die Ebene. Weit draußen, sehr weit draußen, im Westen der Stadt, wo Wälder eilig und schwarz hereinsteigen, steht der lichtflimmernde Riese, der die Schnur wirft, der das Band schwingt, das sich kraus um den Häuserblock legt, in einem frechen und schnellen Bogen ihn umschnörkelt und das geschlängelt und fern blitzend in den östlichen Wiesen und im graublauen Himmel verläuft und vergeht. Das Donauband, das blaue, verweht, aber die schwere Stadt bleibt stehen, auf der grünen Fläche aufgestellt, zu dauern. Und mit den zwei Fingern der Domtürme weist sie zum Himmel, unerschütterlich zum Himmel, zum niemals wankenden.
     Die alte, steinerne Brücke führt über die Donau, nicht schnell und hitzig wie die neuen Eisenstege, nicht in kühnen Bogen und gewagten Kurven, sie geht schwer und bedächtig hinüber, auf den steinernen Pfeilerschuhen, aber hinüber geht sie und kommt an, kommt gerade so gut an wie die hurtigen Springer von heute. Vom Ufer tut sie den ersten Schritt, dann brummen die Wellen um ihre Steinfließenfüße, und dann ist sie drüben, in Stadtamhof, einem kleinen Städtchen, das wie eine Warze an dem großen Gesicht der größeren Stadt hängt.
     Hinter Stadtamhof steigt ein Hügel auf, ein Berglein, das sich Dreifaltigkeitsberg nennt, und von dort ins Donautal zu schauen, wie schön! Da ist eine weite, große, flache Tellerebene, mit Wiesendreiecken und Felderquadraten, und auf dem Teller steht Regensburg, und die Donau blitzt, und der Fluß läuft weiter, nach Osten, und da schieben sich grüne, niedrige Berge an ihn heran, die wie brave, stumme, treue Tiere sind, wie große Hunde ohne Gebell sich lagern. Und darüber ein blauer Junihimmel, mit ein paar weißen, milchweißen, milchgelben, rahmgelben Wolken, die sich im Strom abmalen, aber das sieht man nicht von hier aus, vom Dreifaltigkeitsberg aus, das ahnt man nur. Und nun könnte man wie ein Adler, aber der Vergleich ist zu großartig, aber immerhin könnte man wie ein Falke, oder sagen wir wie ein Habicht im blauen Himmel mit gespreiteten Flügeln über der Stadt schweben, ohne die Flügel zu rühren, unbeweglich, und spähen. Tief unten, eingegraben, eingeschnitten, schwarz wie Maulwurfsgänge laufen die Straßen und Gassen. Nun tiefer hinab! Die Straßen wandeln sich zu springenden Fischen, silbrigen, aus dem Nassen geholt und aufs Trockne geworfen, und nun zucken und winden sie sich, und das Pflaster, die vielen weißen, runden, kleinen Pflastersteine sind wie Schuppen, die glänzen und gleißen, und die Fische zappeln wie aus einem Korb geschüttet, über- und unter- und durcheinander. Noch tiefer hinab, Falkenflügel und Habichtschwinge! Da stehen die Häuser, viele Häuser, graue und weiße und rosafarbene und grüne, und viele Türme, hohe und niedrige, eckige und runde, mit Zinnen und Ziegeldächern, und Kirchen, viele Kirchen, sehr viele Kirchen, kleine, kapellenähnliche, und große, schwere und eine ganz große, der Dom, der riesige Dom, in
    dessen Schatten Regensburg dämmert. Um die Domtürme, um die beiden Domtürme fliegen kreischend und schwarzflügelschlagend die Dohlen und scheuen den Habicht, den Falken und bergen sich in den großen Steinblumen, im Helm der heiligen Ritter und Könige, im Faltenwurf der Propheten und Apostel.
     Aber abgeschnallt den Falkenflügel, die Habichtschwinge! Zu Fuß nun auf zwei rüstigen Beinen durch ein steinernes Tor, durch einen gepflasterten Wirtshausgarten in eine kleine, braune, dunkle Trinkstube mit vier Tischen. Da ist's kühl und braundämmernd und an der Wand hängt ein Hausaltar und am Tisch gegenüber, hocken da nicht im schwarzen Kleid die Domdohlen, mit nackten Gesichtern und klugen Augen? Auf dem Tisch steht ein kleines Schild und auf dem kleinen Schild steht mit schwarzen Buchstaben geschrieben: Nur für die Herren Geistlichen. Rund um den Tisch sitzen sie geplustert, die schwarzen Röcke glänzen, hagere Gesichter, fette Gesichter, dumme Gesichter, kluge Gesichter, kämpferische Gesichter und milde. Das ist die Pfarrstube im Wirtshaus »zum Bischofshof«, und die Brauerei und die Wirtschaft unterstehen dem Bischof von Regensburg, und die Pfarrervögel fliegen ein und aus, und wenn ein schwerer Prälat eintritt, erheben sie sich schwankend, die Rockschöße wehen, und dann sitzen alle beruhigt wieder an der länglichen Tafel, an der das Gespräch geht, ruhig, heiter, und mit der Miene von Leuten, die eine Sicherheit, eine Gewißheit, eine Bürgschaft in Händen halten wie einen schweren goldenen Krug und ihn zu heben wissen mit Anstand und ihn seit hundert Jahren und hundert Tagen halten und weitergeben, und fallen läßt ihn keiner.
     Und gehst du aus der Trinkstube und machst sieben Schritte auf den Pflasterhof, wo Kastanienbäume stehen mit roten Juniblütenkerzen, sieben auf jedem Ast, und du siehst zu den Kerzen hinauf und siehst höher in den Abendhimmel, so ragen rosig beleuchtet wieder zwei Riesenkerzen, zwei Domtürme, denn du kannst nirgends hingehen in Regensburg, wo du den Dom nicht näher sähst.
     Und dann lauf in die Abendgassen hinein, über Plätze und durch Tore, und wenn du willst, siehst du blühend und prall und nie gestorben ein unsterbliches Gesicht: das Mittelalter. Süßes, funkelndes Mittelalter, da Karl, der mit der dicken Unterlippe, sich in die schöne Regensburgerin Barbara Blomberg vergaffte und einen hitzigen Sohn mit ihr zeugte, in Regensburg zeugte, der bei Lepanto die Seeschlacht schlug, den der Papst segnete und der Don Juan d'Austria hieß und von dem eine Tafel an einem großen Haus erzählt. Starkes und gewaltig kunstfrohes Mittelalter, da der große Albrecht Altdorfer hier malte, und die Donaulandschaft und das Goldgrün der Donauwälder ihn nicht mehr losließ, daß er es immer malen mußte, das Gold und das Grün, daß seine Bilder heute noch brodeln davon. Laubwolkig, geschwungen, breitwehend wölben sich die Wipfel, im Lufthauch zitternd, im Wind rauschend, in der Sonne strahlend, goldgetupft, gelbgesprenkelt, lichtgeädert, schillernd wie Forellenhaut.
     Altdorfer ist tot und der dicklippige Karl, aber die Altdorferwälder glühen und brennen noch und dröhnen schattig in der Sonne und die Stadt steht noch und das Fronleichnamsfest - man feiert es wie von je! O Kinderzeit! Schon früh erwacht, und in den neuen, schwarzen Anzug und ein Sträußchen ins Knopfloch und auf die Straße! Da ist Heu auf alle Gassen gestreut und Birken stehn an den Häusern, und rote Decken, Purpurschabracken, hängen aus den Fenstern und das Heu duftet so stark und berauschend, daß man taumelnd zur Kirche läuft. Und das Heu ist grün, und die Birken sind weiß und grün, und weiß sind die Leinenhosen der Soldaten, die Spalier stehen, weiß sind die Talare der Pfarrer und der singenden Chorknaben, und golden ist das Kleid des Bischofs. Aus Gold ist die Monstranz, die er mit brokatnen Armen hochhebt, und die Glocken läuten und die Priester singen und die Knaben und Mädchen beten Litaneien. Das Heu duftet und der Weihrauch wirbelt und aus allen Wirtschaften kommt der bäurische und bayrische Geruch von Bratwürsten. Das ist Verzauberung, das ist ein heidnisch-frommer, schlaraffischer Tag!
     Denn natürlich gibt es den Mond überall, in allen Erdteilen, in Afrika und in Asien, in den Städten der weitesten Welt, aber ist er je so riesig und rot aufgegangen wie in Regensburg? Der Sommertag ist noch nicht ganz vorbei, noch ist das Silbergrau der Dämmerung in der Luft und im Westen, wo die Sonne hinabging, rotbrüllend, ist noch ein tiefes Grün. Da glüht es hinter dem Scheuchenberg auf, das Rot nimmt zu, es flammt, eine mächtige, blutorangenrote Kugel rollt herauf, der Mond. Du fürchtest dich, und klammerst dich am Steingeländer der Brücke fest, und spreizest die Beine, um fest zu stehen, und wagst es, die Feuerkugel zu betrachten. Aber es ist keine Kugel, siehst du beim Längerbeobachten, es ist eine Scheibe, eine Scheibe, aus einer Blutorange herausgeschnitten, gelbrot, gelbfeuerrot, von einem kriegerischen Glanz. Aber dann wird das Rot gedämpfter, es verblaßt, und die Scheibe steigt höher und wird nun gelb, und wie sie gelb wird, wird sie kleiner und Sterne stehen um sie herum und das bläuliche Mondlicht fließt über die Donau, über die Stadt, über die Brücke. Von unten rauscht der Strom herauf. Grün sieht er aus, und wo er sich an den Pfeilern bricht, schäumt er weiß, und je höher der Mond steigt, um so stiller wird's und um so lauter redet die Donau. Die Stadt steht kohlschwarz im Licht, mit so scharfen Konturen, so überscharfen, rasiermesserschneidigen, daß man denkt, die Katze, die über den Dachfirst rennt, könnte von der Schärfe der Dachlinie zerschnitten werden und geteilt, halbiert aufs Pflaster schmettern.
     Um Mitternacht fangen die vielen Uhren in den vielen Türmen die Zeit zu schlagen an, in dumpfen und groben Schlägen, in schnellen und hellen, in Baß und Sopran. Und die Katze sitzt unzerschnitten auf dem Dach, schwarz gegen den mondblauen Himmel, und horcht auf das Uhrenschlagen und krümmt den Katzenrücken und ringelt den Katzenschwanz. Der Mensch auf der Brücke klatscht in die Hände. Noch verwegener buckelt die Katze, läuft wie ein Seiltänzer den Dachfirst entlang und verschwindet schwarz in einer schwarzen Dachluke. Unbeweglich und gelb sieht's Mond.

    [I925]
    Anmerkung